Wenn Kinder Grenzen testen

Meine ganz persönliche Erfahrung mit Kindern, die Grenzen testen und wie ich Pädagog:innen und Eltern in der Beratung begleite, mit diesen Situationen klar und dennoch friedvoll umzugehen

Eine Kinderhand hält einen Baustein fest. Im Hintergrund sind viele Bausteine zu sehen.

In den ersten Wochen meines Berufspraktikums in einem Kindergarten wurde ich von meinen Gruppenkolleg:innen sehr oft allein gelassen. Ich kannte die Kinder nicht, die Kinder kannten mich nicht. Und so kam es fast täglich zu schwierigen Situationen. Permanent - zumindest habe ich das damals so empfunden - "testeten" sie mich. Wieviele Kuscheltiere kann ich vom Podest in die Gruppe feuern, wie viele Bausteine kann ich auf ein anderes Kind werfen, wie laut kann ich schreien, welche Schimpfwörter kann ich durch die Gruppe rufen, bis die Ana Stop! sagt? Und was macht sie, wenn ich nicht aufhöre? Wo ist ihre Grenze und wie wird sie versuchen, mir klar zu machen: "Bis hierhin und nicht weiter!" Tja und ich? Ich war total verunsichert!

Ich wollte eine liebevolle Erzieherin werden und keine, die von Anfang an schimpft.

Ich wollte eine gute Beziehung zu den Kindern aufbauen, wollte gemocht werden und konnte es garnicht verstehen, weshalb sie sich so verhielten. Und das Schlimme an diesen Situationen war, dass ich von meinen Kolleg:innen beobachtet wurde. Sie wollten wissen, was ich mache. Sie haben nicht eingegriffen, obwohl sie meine Hilflosigkeit wahrgenommen haben. Sie standen schmunzelnd in der Gruppe und beobachteten mich und meine verzweifelten Versuche, die Kinder zu erreichen.

 

Mit ein bisschen Abstand betrachtet weiß ich, dass ich sie damals garnicht erreichen konnte, weil wir gar keinen Draht zueinander hatten. Wann hätten wir den auch aufbauen sollen? Es war ja schließlich ganz wichtig, mir zu zeigen, dass der Küchendienst zu meinen Aufgaben gehört und was ich in der Gruppe wann zu putzen habe. Und außerdem stand mir die Verunsicherung und Angst ins Gesicht geschrieben, irgend etwas falsch zu machen.

 

Heute sitzen mir viele Pädagog:innen gegenüber, die wissen wollen, wie sie diesem Austesten der Grenzen deesaklierend begegnen können. Eltern wenden sich an mich, weil sie das Gefühl haben, nur noch zu schimpfen und zu drohen, obwohl sie das eigentlich garnicht wollen. Und allen Beteiligten liegt die Frage auf der Zunge: Warum tun Kinder das?

"Kinder suchen die Stärke der Erwachsenen, zuallererst der Eltern, und finden in ihnen Halt und Sicherheit." Achim Schad

Und so erarbeiten wir uns in den einzelnen Sitzungen einen Handlungsplan, der auf diesen drei Säulen basiert und dir bereits jetzt als kleine Gedankenstütze dienen soll:

  • BEZIEHUNG: Stelle eine positive Verbindung zum Kind her, die euch trägt, auch wenn es schwierig wird.
  • KLARHEIT: Sei dir deiner eigenen Grenzen bewusst und spreche sie klar und deutlich aus.
  • SELBSTSICHERHEIT: Sei dir sicher, dass eine klar formulierte Grenze eurer Erwachsenen-Kind-Beziehung nicht schaden kann. Im Gegenteil - sie wird sie stärken.

Beziehung an erster Stelle

Wenn sich Fachkraft und Kind kennen lernen, ist es wichtig sich um diese positive Beziehung zu bemühen. Genau aus diesem Grund versuche ich, neuen Kolleg:innen und Auszubildenden in den ersten Tagen und Wochen zu ermöglichen, mit den Kindern zu spielen - ja wirklich "nur" zu spielen und sie durch den Alltag zu begleiten, damit sie die Chance bekommen, zueinander zu finden und eine stabile und starke Beziehung aufzubauen.

 

Eltern, die sich Unterstützung holen, erleben mit ihrem Kind/ihren Kindern in der Regel viele konfliktreiche Momente, die die Eltern-Kind-Bindung in den Hintergrund rücken lassen. In der Beratung sehen wir uns an, wie sie es schaffen, die positive Verbindung zu ihrem Kind wieder herzustellen und zu stärken.

 

Es ist ein Weg, der viel Zeit und Geduld - vor allem mit sich selbst erfordert. Ihn zu gehen bedeutet, sich mit den eigenen Grenzen, Kindheitserfahrungen, Ängsten und Sorgen auseinander zu setzen. Ihn zu gehen bedeutet aber auch, sich bewusst gegen Machtkämpfe, Drohungen und Strafen zu entscheiden.

Als systemische Beraterin gehe ich diesen Weg unterstützend mit, gebe Raum, die eigenen Grenzen kennen zu lernen, sich ihrer bewusst zu werden und zeige Möglichkeiten auf, diese im Familien- und Kitaalltag klar zu formulieren.